IDM Nachleese
Die zweite Deutsche J/70-Meisterschaft litt am Bodensee unter drei Tagen Stillstand. Dennoch gab es eine würdige und prominent besetzte Siegercrew, die den einzigen Segeltag dominierte.
Alle wissen, so etwas kann bei unserem komischen Sport passieren: Drei Tage Flaute auf See, drei Tage Rumsitzen an Land. Es mag im Norden der Republik etwas seltener vorkommen als auf den Seen im Süden, aber im Herbst sind die Prognosen für den Bodensee eigentlich gut.
Diesmal allerdings klappt es nicht bei der Deutschen Meisterschaft der J/70-Klasse ausgerichtet vom Württembergischen Yacht-Club in Friedrichshafen. Nur am ersten Tag wird gesegelt. Der junge Wettfahrtleiter Conrad Rebholz – Mitglied im starken WYC-Liga-Team – zieht gleich vier Rennen durch. Er kennt seinen See, und weiß, was da in den nächsten Tagen kommt, bzw nicht kommt.
Mit zwei 180-Grad-Drehungen muss er klar kommen. Mitten am Tag killt die Themik den Gradient-Wind für das zweite Rennen und setzt von See ein. Gerade so spät, dass die ersten Boote schon im Ziel sind und ein Abbruch nicht möglich ist. – Hinter der Spitze würfelt es mächtig durcheinander als der Wind aus- und aus der neuen Richtung wieder einsetzt.
Beim nächsten Rennen dreht er kurz vor dem Ziel wieder zurück. Die Lokalmatadoren liegen vorne, und mancher Wettfahrtleiter würde wohl zögern mit dem Setzen der blauweiß gewürfelten Flagge. Aber beim WYC geht es professionell zu: Abbruch und Neustart mit der neuen Windrichtung.
Olympia-Team segelt vorne
Außerdem hat die dominierende Crew dieses Tages solch ein Zutun nicht nötig. Sie gewinnt auch ohne externe Hilfe. Mental sind Simon Diesch und Philipp Autenrieth für solche Situationen gerade bestens geschult. Sie befinden sich inmitten einer Fulltime-Olympia-Kampagne im 470er, kommen gerade aus Japan zurück vom nächsten Olympia-Revier und haben in dieser Saison besonders mit Rang vier bei der Palma-Week den internationalen Durchbruch geschafft.
Die J/70 IDM passte in den Zeitplan, und so entstand die spannende Idee, sich für die Meisterschaft mit den Brüdern zusammen zu tun. Simon hat viele Jahre mit Bruder Felix 420er und 470er gesegelt und versucht, die den seglerischen Erfolgsweg von Vater Eckart (Olympia-Gold und Bronze im FD) fortzusetzen. Philipp Autenrieth saß mehr als zehn Jahre mit Bruder Julian – der Optimist-Weltmeister, der gerade an der Pinne für den Bayerischen Yacht-Club sein erstes Liga-Event gewonnen hat – zusammen auf einem Boot und hat mit ihm ebenfalls eine Olympia-Kampagne im 470er bestritten.
Mächtig versammeltes Know How also, keine gemeinsame Erfahrung mit der J/70, aber dafür schon ein echtes Markenzeichen. Das Quartett segelt in Jeans. Daraus ergibt sich jede Menge Symbolkraft. Die Aussage: Bloß locker bleiben, alles cool hier. Ein großer Spaß!
Die Konkurrenz mag sich dadurch aufs Glatteis führen lassen. Man mag annehmen, dass die Brüder ihr spontan-Projekt Titelgewinn nicht erst nehmen. Von wegen. Sie starten die Regatta mit den Plätzen 1/3 und können danach den Tag locker mit 14/15 austrudeln lassen. Die Serie reicht mit einem Punkt Vorsprung zum Sieg. Ein schlaues Pferd springt nicht höher als es muss.
Brinkbäumer sensationell auf Rang zwei
Dahinter platziert sich sensationell der scheidende Spiegel-Chef Klaus Brinkbäumer, der nach dem Umstieg aus dem 505er seine erste J/70 Saison segelt. Mit an Bord ist das in dieser Saison dominierende NRV-Liga-Team Miklas Meyer, David und Dorian Heitzig. Sie haben für den NRV zwei Liga-Events und die Championsleague-Quali gewonnen. Miklas und David waren zudem IDM Titelverteidiger. Sie verhalfen Brinkbäumer an der Pinne schon zu Rang 8 bei der Kieler Woche.
Das WYC-Liga-Team um Steuermann Max Rieger, das in Hamburg die Champions-League-Platzierung sichern soll, folgt nur knapp dahinter und wir müssen im direkten Anschluss an die WM mit einem NRV-Leihboot und Michael Grau an der Pinne mit Rang vier vorlieb nehmen.
Die drei Tage beim Warten am Wind mögen ermüdend gewesen sein. Aber im Gegensatz zur ersten Meisterschaft im hohen Norden findet die junge Klasse auch feiertechnisch immer näher zusammen. Das Essen im Dornier-Musem, für das extra ein paar alte Flugzeuge beiseite geräumt wurden – die Familie Dornier ist dem WYC sichtbar eng verbunden – war stark und die Party im Festzelt am nächsten Abend legendär. Jung und alt tanzten und johlten mit einer Blaskapelle.
So hatte Wettfahrtleiter Rebholz am nächsten Tag seinen schwersten Auftritt, was angesichts der schwierigen Wetterbedingungen kaum zu glauben ist. Beim Vorlesen der Platzierungen wähnten Zuhörer den Mann im Stimmbruch. Stattdessen hatten die Stimmbänder wohl am Abend so massiv gelitten, wie das Mobiliar im Zelt. Es wird von berstenden Tischen gemunkelt. Das mag sich etwas fies anhören, zeigt aber auch ein wenig wie sehr die junge Klasse auf dem Weg ist zusammenzuwachsen.
Carsten Kemmling